PKH/VKH - Erfolgsaussichten und Mutwilligkeit
Erfolgsaussichten
Was bedeutet "Erfolgsaussichten"
Nach ZPO § 114 Abs. 1 S. 1 ist eine der Voraussetzungen zur Bewilligung von PKH/VKH die Aussicht auf Erfolg der geplanten Rechtsverfolgung oder Verteidigung. Dabei ist das Wort "Aussicht" wörtlich zu nehmen - Gewissheit oder gar eine Garantie für einen Erfolg ist nicht notwendig. Daher ist hier zu prüfen, ob der vorgetragene Standpunkt aus Sicht eines Dritten vertretbar erscheint und mit dem/den in der Darstellung des Streitverhältnis genannten Beweis(en) belegbar ist/sind.
Dabei wird einerseits hinsichtlich der rechtlichen Erfolgsaussichten beurteilt, also, ob der vorgetragene Standpunkt mit den geltenden Gesetzen und der ständigen Rechtssprechung in Übereinstimmung zu bringen ist. Ist der vorgetragene Standpunkt aus Sicht des angerufenen Gerichts mit den Gesetzen vereinbar, weicht aber von der ständigen Rechtssprechung ab, bedeutet das keine Pflicht zur Ablehnung, da das angerufene Gericht die Möglichkeit hat, einen eigenständigen, anderslautenden Standpunkt zu beziehen.
Andererseits werden die tatsächlichen Erfolgsaussichten bewertet. Dies bezieht sich auf den/die in der Darstellung des Streitverhältnis benannten Beweis(e). Dabei soll nur beurteilt werden, ob mit diesem/n der erfolgreiche Beleg für den dargestellten Standpunkt erbracht werden kann. Eine direkte Beweiswürdigung darf bei der Bescheidung des Antrags noch nicht erfolgen (s.a. "Wann sind die Erfolgsaussichten zu beurteilen"). Ist also der Erfolg maßgeblich von einer angebotenen Zeugenaussage abhängig, muss grundsätzlich PKH/VKH bewilligt werden. Sind Sie Beklagter, ist Ihnen also auch immer dann PKH/VKH zu gewähren, wenn Sie nachvollziehbar darlegen können, warum die Klage nicht haltbar ist, insbesondere dann, wenn der Kläger die Beweise zu erbringen hat.
Ist Ihr Fall so gelegen, dass er schwierige oder bisher nicht oder nicht ausreichend geklärte Rechtsfragen streift, darf Ihnen PKH/VKH nicht wegen mangelnder Erfolgsaussichten versagt werden. Die Bewilligung von PKH/VKH soll gerade die Möglichkeit geben, Zugang zu Gericht zu erhalten, damit eine Verhandlung stattfinden kann - und nicht eindeutige Rechtsfälle, sozusagen, "abnicken". Demzufolge ist beispielsweise bei einer Berufung, wenn diese zugelassen wird, immer eine hinreichende Aussicht auf Erfolg gegeben.
Erklären beide Parteien sich mit einem Vergleich einverstanden, sind hinreichende Erfolgsaussichten gegeben.
In Ehesachen sind die Erfolgsaussichten immer gegeben, da es hier ja gerade um eine Entscheidung geht, die nur vom Gericht getroffen werden kann und VKH soll ja gerade den Zugang dazu ermöglichen. Bei Ehefolgesachen und anderen Familiensachen sind hingegen die Erfolgsaussichten im Einzelnen zu beurteilen (s.a. "Familiensachen").
Wann sind die Erfolgsaussichten zu beurteilen?
Wird erst PKH/VKH beantragt und dann der Prozess begonnen (also: mit dem PKH-/VKH-Antrag Klage nur bedingt erhoben oder ein PKH/VKH-Antrag für eine Berufung vor dem Einlegen der Berufung gestellt), stellt sich diese Frage nicht, da erst über den PKH-/VKH-Antrag zu entscheiden ist und sich alles Weitere danach ergibt.
Anders aber die Situation, wenn PKH/VKH erst nach Prozessbeginn beantragt wird - beispielsweise, wenn Sie auf eine Klage reagieren wollen oder einer Berufung entgegentreten wollen (hier können Sie prozessrechtlich nicht anders, als den Antrag erst im Nachhinein zu stellen).
Vorab ist hier anzumerken, dass bezüglich des Beurteilungszeitpunkts lebhafte Kontroversen bestehen. Daher wird im Folgenden davon ausgegangen, dass Sie alles Mögliche und geforderte rechtzeitig unternommen haben, um Ihrerseits die Voraussetzungen zur Bewilligung Ihres Antrags zu schaffen. Der Grund ist: Sind Sie für eine Verzögerung der Entscheidung verantwortlich, ist Ihnen ein etwaiger Nachteil, der aus dieser Verzögerung resultiert, selber zuzurechnen und Sie müssen die daraus resultierenden Folgen selber tragen (also: eine mögliche Ablehnung Ihres Antrags).
Prinzipiell tendieren die meisten Meinungen dahin, dass der Zeitpunkt der Entscheidungsreife Ihres Antrags der maßgebliche ist, zu welchem Ihre Erfolgsaussichten beurteilt werden sollen. Dieser sollte mit dem Zeitpunkt der Entscheidung übereinstimmen. Sind aber Zeitpunkt der Entscheidungsreife und Zeitpunkt der Entscheidung nicht gleich, sondern ist zwischen Entscheidungsreife und der Entscheidung Zeit vergangen, so sind alle Informationen, welche in dieser Zeit neu hinzugekommen sind, nicht mit in die Entscheidung einzubeziehen. Ein Beispiel hierfür wäre die Entscheidungsreife vor der Beweisaufnahme/Zeugenvernehmung im Verfahren, wobei aber die Entscheidung nach der Beweisaufnahme/Zeugenvernehmung ergeht: Konnten Sie selber die Beweisaufnahme/Zeugenvernehmung nicht bis nach der PKH/VKH-Entscheidung verhindern, werden aber Erkenntnisse aus der Beweisaufnahme/Zeugenvernehmung mit in die Entscheidung einbezogen, so ist dies fehlerhaft und kann erfolgreich mit einer Beschwerde bekämpft werden. Abzuleiten ist daraus aber auch, dass Sie, im Rahmen Ihrer Möglichkeiten, eine Mitwirkungspflicht haben, das Verfahren in einem solchen Fall so lange zu verzögern, bis das Gericht seiner gesetzlichen Pflicht nach umgehender Bearbeitung und Bescheidung Ihres PKH/VKH-Antrags nachgekommen ist.
Mutwillen/Mutwilligkeit
Laut ZPO § 114 Abs. 1 S. 1 darf ein bewilligungsfähiger PKH/VKH-Antrag nicht mutwillig sein. Praktisch wird die Frage nach der Mutwilligkeit immer nur dann geklärt, wenn das rechtliche Anliegen positive Erfolgsaussichten hat.
Was "Mutwilligkeit" bedeutet, ist in ZPO § 114 Abs 2 definiert: "Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht."
Grob vereinfacht kann man dies übersetzen: Ist es aus Sicht einer Person, die den Prozess selber bezahlen müsste, wirtschaftlich unsinnig, diesen Prozess zu führen, dann soll auch keine PKH/VKH genehmigt werden.
Dies bedeutet aber nicht, dass nicht auch PKH/VKH für Prozesse, in denen es um verhältnismäßig geringe Beträge geht, genehmigungsfähig währe. Vielmehr soll der (mit PKH/VKH quasi kostenlosen) Prozessführung, nur um Recht zu bekommen, Einhalt geboten werden. Werden Sie jedoch damit konfrontiert, dass Sie jemand verklagt, nur um Recht zu bekommen, dann ist Ihre Verteidigung dagegen nicht mutwillig.
Im Folgenden einige Beispiele:
- Die Möglichkeit, ein Schiedsgerichts-, Schieds-, Schiedsgutachten-, Güte- oder Schadensfeststellungsverfahren, genauso wie Mediationsverfahren vor einem Prozess wahrzunehmen, soll in den meisten Fällen kein Anlass sein, einen PKH/VKH-Antrag wegen Mutwilligkeit abzulehnen.
- Die Gewährung von PKH/VKH für die Scheidung einer Scheinehe ist nicht mutwillig, kann jedoch aus anderem Grund versagt werden (s. "Sonderfall Scheinehe"). Zu weiteren Fällen von Mutwilligkeit in Familiensachen, siehe: Scheidung, Unterhalt, Sorge, Umgang und Gewaltschutzsachen, Abstammung (Vaterschaftsanfechtung und gerichtliche Vaterschaftsfeststellung) und Adoption.
- Streiten Sie um Geld und ist Ihr Gegner aktuell ohne Vermögen, ist dies noch kein Grund an sich, Ihnen PKH wegen Mutwilligkeit zu versagen. Nur für den Fall, dass Ihr Gegner absehbar für immer auch vermögenslos bleibt, oder Sie das Geld ersichtlich eigentlich gar nicht erhalten wollen oder Ihr Anspruchs nicht verjähren kann, dann ist eine Ablehnung wegen Mutwilligkeit gerechtfertigt.
- Haben Sie eine Rechtsschutzversicherung und lehnt diese eine Kostenübernahme wegen Erfolgslosigkeit ab, kann Ihnen auch keine PKH/VKH bewilligt werden - Sie haben aber die Möglichkeit, einen kostenlosen Stichentscheid herbeizuführen. Erhalten Sie aber keine Deckungszusage, kann PKH/VKH bewilligt werden. Erhalten Sie eine Deckungszusage, sind Sie nicht mehr - im Bezug auf das angestrebte Verfahren - bedürftig und erhalten keine PKH/VKH.
Die Frage des Beurteilungszeitpunktes der Mutwilligkeit ist genauso wie die Frage des Zeitpunkts der Beurteilung der Erfolgsaussichten zu beantworten - daher: s. "Wann sind die Erfolgsaussichten zu beurteilen?".
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• Kapitel "Erfolgsaussichten und Mutwilligkeit"
• Kapitel "Wer zahlt was? - PKH/VKH und Kosten"
• Kapitel "Der Antrag auf PKH/VKH"
• Kapitel "Das PKH/VKH-Prüfungsverfahren"
• Kapitel "Bewilligung - die Entscheidung über PKH und VKH"
• Kapitel "Überprüfung und Revision der PKH/VKH-Bewilligung - Mitteilungspflicht"
• Kapitel "Aufhebung der Bewilligung von PKH/VKH"
• Kapitel "Abgelehnter/abgewiesener PKH/VKH-Antrag: Beschwerde und Frist"
• Kapitel "PKH/VKH und Anwaltsbeiordnung sowie Anwaltswechsel"
• Kapitel "Verfahrenskostenhilfe (VKH) - PKH im Familienrecht"
• Kapitel "PKH für Verfahren außerhalb des Familienrechts"
• Kapitel "Gesetzestexte zu Prozesskostenhilfe (PKH) und Verfahrenskostenhilfe (VKH)"
• Kapitel "Urteile zu Prozesskostenhilfe (PKH) und Verfahrenskostenhilfe (VKH)"
• Kapitel "Bescheide PKH/VKH - Beispiele"
• Inhaltsverzeichnis